Wie „Teile und Herrsche“ zur Triebfeder der Zwangsvernunft wird und der Meinungskampf um die Deutungshoheit zur Ersatzbefriedigung für eine entgleiste und übersteuerte Mediengesellschaft mutiert.

Es ist Anfang September 2020, gut ein halbes Jahr Corona-Horror liegt hinter uns.
Ich bin erschöpft, und ich zweifle; schon wieder zweifle ich am Sapiens, daran, dass er wirklich für diese Welt ausgelegt ist, in der er sich selbst als die Krone der Schöpfung verehrt. Wir stehen einen Fingernagel breit vom Aussterben und ehrlich – ich finde, das ist auch gut so.

Wir modernen Menschen dieser angeblich modernen aufgeklärten Zeit sind die Überlebenden uralter Blutlinien, die laut Wissenschaft eine Million Jahre in der Zeit zurückreichen, doch wenn ich so auf die Welt im Coronastadium schaue, dann denk ich mir: Nö, das fetzt überhaupt nicht und braucht auch keiner.
Wozu denn eigentlich überleben? Um in Zukunft mit einer Ganzkörper-Plastik-Verschalung herumzulaufen, da die Regierung des Landes, in dem ich lebe, aus dieser Tatsache irgendwelche pandemischen Sonderzugriffsrechte auf mein persönliches Weltbild ableitet, weil sie schlicht nichts vom Aeroplankton versteht, jener nicht sichtbaren Matrix aus Kleinstlebewesen (inklusive Viren!), aus der unsere Atemluft seit Anbeginn der Zeit besteht, und an die unsere Immunsysteme perfekt angepasst sind, solange das Milieu im Körper stimmt.
Wozu auf die Welt kommen, wenn das erste, was ich im Gesicht spüre nicht der zarte Kuss meiner Mutter ist, sondern der raue hygienische Stoff einer Einwegmaske; wozu in einer solchen Welt alt werden, wenn ich meine errungene Lebenserfahrung nicht an die Enkel weitergeben kann, weil die in der Schule gelernt haben, dass sie mich umbringen könnten, wenn sie mich besuchen …
Wir können ja nur dankbar sein, das ein Großteil der anderen Säugetierarten auf diesem Planeten, den schein-intellektuellen Spaltungsmechanismus, mit dem wir uns aktuell medial aufreiben, nicht nachvollziehen können – sie lägen doch entweder lachend auf dem Rücken oder säßen konsterniert in der Ecke, ob der Einfältigkeit der Corona der Schöpfung.

Ich blicke auf Wälle, berghohe Wälle aus Meinungen, die ständig aufgeschüttet und nachgebessert werden, den hinter ihnen liegen die heiligen Gestade des eigenen Weltbildes.
Ich möchte Menschen sehen und was sehe ich? Wälle!
Und es langweilt mich. Echt.

Warum wird sich ellenlang beklagt über Leute, die auf eine Demo gehen, und sich dann dort nicht zu hundert Prozent korrekt verhalten? Über Leute, denen es grad mal wurscht ist, dass der Opa mit dem Peace-T-Shirt auch noch eine alte Flagge des Kaiserreichs mit sich rumträgt, über Leute, die – ja natürlich! – auch mal ihren Emotionen nachgeben und brüllen, dass Merkel weg soll. Warum denn auch nicht? Es gibt kein kosmisches Gesetz, dass diese Frau auf ewig im Amt zu sein hat. Merkel soll weg, die Nazis sollen weg, die Grünen sollen weg; alles, was mir nicht in meinen Lebensrahmen passt, soll am Besten weg. Auch das ist menschlich.

Der Fluss soll da weg, denn die Mammuts sind auf der anderen Seite und die Strömung ist zu stark.

Das Unkraut zwischen den Steinen des Gartenwegs soll weg, Trump soll weg (Solveg ist übrigens auch ein nordischer Name), vieles soll weg. Und warum auch nicht. Interessant wird es doch erst bei der Frage nach den Mitteln, die das weg bewerkstelligen sollen.

Doch zu diesem Punkt in der Debatte gelang man ja in der Regel nicht, denn der Wall ist schon zu hoch und dahinter wird sich verbarrikadiert, und ego-medial abgefeuert: In Richtung der Leute, die – durch die Brille der eigenen Überzeugungen und Haltungen betrachtet – keine politisch korrekten Reden halten und die sich einfach mal überschwänglich daran begeistern, nicht in der Minderheit zu sein. Nicht so wie zu Hause, wo einem die Liebsten und/oder die Nachbarn den Vogel zeigen (oder schlimmeres), wenn man seine Zweifel an der Maßnahmen-Politik der Bundesregierung formuliert.
Menschen echauffieren sich über Demonstranten, die verbal nicht friedlich waren in einer Weise, die nicht auf einen nahen Verwandtschaftsgrad mit Siddhartha schließen lässt. Und als wenn wir ansonsten in einer mega abgeklärten durchweg friedlichen Welt leben würden, die uns keinen Anlass zu alle diesen Ausschweifungen gibt; als wenn man sich nicht für seine Zwangsgebühren auch noch als Covidioten und Pack beschimpfen lassen muss; als wenn es nicht unheimlich schmerzen würde, dass einen die beste Freundin von facebook und aus ihrem Leben gelöscht hat, weil man als Ausdruck der eigenen Meinung ein kritisches Video von einem Herrn Bhakdi geteilt hat; als wenn der Ärger und die Genervtheit, dass eine Regierung, die man nicht mal gewählt hat, sich derartig außerdemokratischer Methoden bedient, und man demokratisch nun mit gehangen ist.
All diese Dinge und noch viel mehr passiert tagtäglich in unserem Land, und weil wir anders als Butan keinen Volksglück-Paragrafen besitzen und dementsprechend Meditation und Selbstfindung nicht als verpflichtende Hauptfächer ab der ersten Klasse unterrichtet werden, passiert es eben auch, dass Demonstranten keine Heiligen sind.

Und dann ist die selbsternannte und sofatreue Intellektülle ganz entsetzt und findet, dass man die Demokratie aber nur als Heilger retten darf und dass man anderenfalls – also wenn man das nun nicht kann – bitte zu Hause sitzen soll und … ja was denn eigentlich? So tun, als ob einen die Zukunft und Gesundheit der eigenen Kinder nichts anginge? So tun, als fände man die gegenwärtige Politik nicht übergriffig und totalitär, obwohl man es so wahrnimmt. So tun, als würde man nicht denken, was man eben denkt?

Das funktioniert nicht. Menschen sind, wie sie sind, und wenn sie Probleme erkennen, dann lösen sie diese als die, die sie sind, nicht als welche, die der intellektuelle Mainstream gerne sehen würde.

Ein Huhn kann auch kein Dachs sein. Das ist doch jedem klar, oder?
Sogar Darwin wusste das.

Und ja, ich kann den Punkt nur allzu gut verstehen.
Echter Frieden ist auf dieser Welt rar gesät, man findet ihn wohl am ehesten bei einer Katze, die faul in der Sonne liegt, und bedauerlicherweise dünn versprenkelt beim Sapiens, der versucht, seine marodierenden Gesellschaftsstrukturen durch Meinungsschlachten auf Demonstrationen und/oder im Internet vor der vollständigen Auflösung zu bewahren.
Frieden zu erlangen ist ein langer Weg, der innerlich stattfindet. Frieden kann man nicht herbei argumentieren, weder auf der Demo noch durch die Demokritik.
Frieden oder Friede kommt vom althochdeutschen fridu und bedeutet „Schonung“ oder „Freundschaft“. Dann lasst uns doch alle mal schonen mit unseren Meinungen, mit all dem, was man retrospektiv darüber, dafür und dagegen sagen oder meinen kann. Lasst uns gegenseitig schonen mit den unterschwelligen Angriffen, den ach so schlauen Analysen und pseudo-objektiven Sachbeiträgen; dem Abladen der eigenen unreflektierten Phlegmatien auf etwas, das sich bewegt und aus der politischen Starre – wenn auch laut und polternd – hervorsticht; schonen mit den Ausdünstungen der eigenen Filterblase, die weder besser noch schlechter ist, sondern einfach nur anders; schonen mit den verbalen Spaltkeilen, die es eigentlich zum Wohl der Menschenfamilie zu begraben gilt.

Ich mag es eigentlich nicht, Sprichwörter zu bemühen, aber jetzt tu ich es: Reden ist Silber, schweigen ist Gold!

Peace.

Von Limarå Hèymdai

Autorin, Künstlerin & Systemkritikerin: http://www.limara.net | https://www.2044serie.de